Meditativer Rundgang durch die Kartause Ittingen

Klostereingang

Siehe, die Hütte Gottes bei den Menschen.
Offenbarung 21, 1 - 4

Dieser Vers steht über der Eingangstüre zur Klosterkirche der Kartause Ittingen. Ich lade ein auf einen Rundgang durch das ehemalige Kartäuserkloster. Kartäuser leben auch heute noch sehr zurückgezogen. Nur am Sonntagnachmittag unterbrechen sie für zwei bis drei Stunden ihr Schweigen. Ihre Art zu glauben ist für uns sehr fremd, ja sogar befremdend. Haben sie uns trotzdem etwas zu sagen?
In einer grossartigen Vision sieht Johannes, dass es mit dieser Erde schlussendlich gut kommen wird. Mitten in all den Drangsalen und Verfolgungen der damaligen Zeit, öffnet sich für ihn der Himmel. Gott selbst nimmt Wohnung bei den Menschen. Wenn die Kartäuser ihre Kirche mit diesem Vers anschreiben, dann sagen sie damit, dass ihre Kirche für sie das Tabernaculum ist, die Stiftshütte in der Wüste, der Tempel - der Ort, wo Gott gegenwärtig ist. Wo steht unser Tempel? Wo erfahren wir Gottes Gegenwart?
Ganz in Gottes Gegenwart zu leben - diesem Ziel ordnen die Kartäuser alles andere unter. Sie ziehen sich aus der Welt zurück, reduzieren alle Ablenkungen auf ein absolutes Minimum. Natürlich kann das nicht eine Norm für alle Christen sein. Aber sie  erinnern uns daran, worum es im Glauben letztlich geht: um das Sein in Gottes Gegenwart, um Hingabe, um Anbetung, um Beziehung und Gemeinschaft mit dem dreieinen Gott. Zuerst kommt das Sein. Daraus fliesst alles Tun.

Jemand fragte einmal Jean-Marie Holenstein, den ehemaligen Prior der Kartause Pletrije in Slowenien, der Schweizer Wurzeln hat: „Ist das nicht schwierig, so ein abgeschiedenes, strenges Leben zu führen?“ Pater Jean-Marie gab zur Antwort: „Nein, es ist genau umgekehrt. Für uns im Kloster ist es leichter, ein Leben in der Gegenwart Gottes zu führen,  als für Menschen, die mitten im Alltag Gott suchen.“ Die Kartäuser sind uns voraus auf dem Weg vom Tun zum Sein. Für uns ist es schwieriger. Aber von ihnen können wir lernen, was dazu verhilft: heilsame Unterbrechungen im Alltag, Zeiten der Meditation, Tagzeitengebete, Eingebettet-sein in eine verbindliche Gemeinschaft.

Klosterkirche

Wahrlich, der Herr ist an diesem Ort.
aus 1. Mose 28, 10-22

Wenn man die Kirche betritt, dann umfängt einen barocke Herrlichkeit - und ist als reformierter Theologe zuerst einmal ziemlich irritiert durch eine strenge Dreiteilung des Kirchenschiffes. Ich taste mich vor zum Heiligtum. Ich gehe durch meine Arbeit im Knechtchor und lasse sie zurück. Ich gehe durch meine Beziehungen und die Gemeinschaft mit Brüdern und Schwestern im Laienchor und lasse sie ebenfalls hinter mir. Schliesslich trete ich ein in den Priesterchor und entdecke an der Decke eine Inschrift: VERE DOMINUS EST IN LOCO ISTHOC. Wieder legen die Kartäuser eine feine Spur aus. Jakob sah im Traum eine Leiter zwischen Himmel und Erde, auf der Engel auf- und abstiegen. Da wurde ihm klar: Gott ist an diesem Ort! Und mit Jakob sagen die Kartäuser: Hier ist unser Beth-El, unser Haus Gottes. Hier trete ich ein in seine Gegenwart. Hier ist Raum zum Sein. Hier spüre ich den Herzschlag Gottes.

Dasein vor dir, Herr, ist alles.
Die Augen meines Leibes schliessen und still sein.
Die Augen meiner Seele schliessen und warten.
Dir gegenwärtig sein, dem unendlich Gegenwärtigen,
mich dir aussetzen, wie du dich mir ausgesetzt hast.
Michel Quoist (1921 - 1997), französischer Theologe und Autor

Chorgestühl

Was ist der Mensch, dass du an ihn denkst, des Menschen Kind, dass du dich seiner annimmst? Du hast ihn nur wenig geringer gemacht als Gott, hast ihn mit Herrlichkeit und Ehre gekrönt. Du hast ihn als Herrscher eingesetzt über das Werk deiner Hände.
aus Psalm 8

Im barocken Chorgestühl trafen sich über hunderte von Jahren dreimal täglich die Kartäusermönche zu Messe und Chorgebet. Die vielfältigen Figuren stellen das gestufte Weltbild des barocken Kosmos dar. Ganz unten sind Masken und fratzenhafte Gestalten sichtbar. Ein Hinweis auf das Böse, Dämonische. Im Fussbereich finden sich Tierfiguren und Fabelwesen, sowie Blumen und Früchte. Die Mönche standen beim Gebet also mitten in der Schöpfung. Über ihnen stehen in Nischen Heiligenfiguren. Bekrönt wird das Chorgestühl von einer Bilderserie der zwölf Apostel und durch Monogramme von Christus und Maria. Gott gibt uns Menschen einen Platz in der Welt. Nimm diesen Platz ein und erkenne, was du bist: ein Teil dieser Schöpfung. 

Das eine ist mir so klar und spürbar wie selten: Die Welt ist Gottes so voll. Aus allen Poren der Dinge quillt er gleichsam uns entgegen. Wir aber sind oft blind. Wir bleiben in den schönen und in den bösen Stunden hängen und erleben sie nicht durch bis an den Brunnenpunkt, an dem sie aus Gott herausströmen. Das gilt für alles Schöne und auch für das Elend. In allem will Gott Begegnung feiern und fragt und will die anbetende, hingebende Antwort. Die Kunst und der Auftrag ist nur dieser, aus diesen Einsichten und Gnaden dauerndes Bewusstsein und dauernde Haltung zu machen und werden zu lassen. Dann wird das Leben frei in der Freiheit, die wir immer gesucht haben.
Alfred Delp SJ (1907-1945)

Uhr in der Kirche

Denn er weiss, welch ein Gebilde wir sind, bedenkt, dass wir Staub sind. Des Menschen Tage sind wie Gras, er blüht wie eine Blume des Feldes: Wenn der Wind darüber fährt, ist er dahin, und seine Stätte weiss nicht mehr von ihm.
aus Psalm 103

Wer in der Klosterkirche nach oben schaut, macht eine interessante Entdeckung: oben an einem Gewölbebogen befindet sich eine Uhr. Das Zifferblatt ist bemalt mit einer verwelkten Blume, einer geknickten, soeben ausgelöschten Kerze, von der ein Räuchlein aufsteigt und daneben steht noch ein Totenschädel. Sind Kartäuser etwas morbide Typen, die immer den Tod vor sich haben? Das MEMENTO MORI aus Psalm 90 („Bedenke, dass du sterben musst.“) ist tatsächlich wichtig für sie. Aber nicht im Sinn einer Lebensverneinung, sondern als bewusstes Annehmen der eigenen Vergänglichkeit. Die Wand zwischen dieser Welt und der Ewigkeit ist für einen Kartäuser sehr dünn. Der Tod ist für ihn wie der Umzug von einem Zimmer ins andere.

Als ob es die Toten gäbe

Herr, es gibt keinen Toten, es gibt nur Lebende
auf unserer Erde und im Jenseits.
Herr, den Tod gibt es, aber er ist nur ein Moment,
ein Augenblick, eine Sekunde, ein Schritt.
Der Schritt vom Vorläufigen ins Endgültige,
der Schritt vom Zeitlichen ins Ewige.
Michel Quoist (1921 - 1997), französischer Theologe und Autor

Chorgestühl

Erforsche mich, Gott, und erkenne mein Herz; prüfe mich und erkenne, wie ich's meine.
aus Psalm 139

Ein Detail im Chorgestühl zeigt, dass auch Kartäusermönche durchaus Sinn für Humor hatten! Am Sockel unter einem Sitz entdeckt man einen Menschenkopf, der eine grosse Nase hat. Das Witzige an dieser Figur ist, dass ihr ein Vogel auf dem Kopf sitzt, der sie mit dem Schnabel an der Nase packt. Die Botschaft ist ziemlich klar: Lieber Mönch, nimm dich bitte an der eigenen Nase! Und Lateinisch steht dabei: NOSCE TE IPSUM („Erkenne dich selbst“). Gotteslob und Gotteserkenntnis führt mich nicht weg von mir in himmlische Sphären, sondern immer auch zu mir selber, zur Selbsterkenntnis. Eine echte Begegnung mit Gott beinhaltet immer auch eine Begegnung mit mir selber. In seinem Licht erkennen wir wer wir sind. Sein Licht verwandelt mich. Sein Geist, der in mir wohnt, kennt mich, prüft mich, erleuchtet mich, heilt mich.

Gotteserkenntnis und Selbsterkenntnis bei Johannes Calvin

Der Unterricht in der christlichen Religion beginnt mit dem berühmten Satz: “All unsere Weisheit, sofern sie wirklich den Namen Weisheit verdient und wahr ist, umfasst im Grunde eigentlich zweierlei: Die Erkenntnis Gottes und unsere Selbsterkenntnis.“
Calvin meint hier, dass ohne Gotteserkenntnis auch keine wirkliche Selbsterkenntnis möglich ist. Umgekehrt kann man auch Gott nicht wirklich erkennen, wenn man die Gotteserkenntnis von unserem Leben trennt.
Ohne Gotteserkenntnis ist keine wirkliche Selbsterkenntnis möglich. Das bedeutet zum Beispiel, dass wir den Grund all dessen, was in unserem Leben misslingt, nicht erkennen können, wenn wir uns nicht vor Gott stellen und erkennen, dass wir erlösungsbedürftig sind.
Ohne Selbsterkenntnis ist auch keine wirkliche Gotteserkenntnis möglich. Das bedeutet zum Beispiel, dass man die denkbar schönsten und klügsten Theorien darüber aufstellen kann, was Gott, die Trinität und jede ihrer Personen sind und in welcher Beziehung sie zueinander stehen: Geschieht das ohne Bezug zu den Grundfragen menschlichen Lebens, so sind diese Überlegungen völlig unnütz; sie sind nur verlorene Zeit, Spielerei.
www.calvin09.org

Mönchszelle

Wohin soll ich gehen vor deinem Geist und wohin fliehen vor deinem Angesicht?
aus Psalm 139

Ist der Mensch ein Fluchttier oder ein Raubtier? Vermutlich steckt beides in uns. Aber wenn es brenzlig wird, ziehen sich viele reflexartig zurück. Oft sind wir auf der Flucht - vor anderen Menschen, vor Gott und nicht zuletzt auch vor uns selber. Wie andere Orden kennen auch die Kartäuser die STABILITAS LOCI, die „Beständigkeit des Ortes“ oder „Ortsgebundenheit“. Damit ist die dauerhafte Bindung eines Mönches oder einer Nonne an ein bestimmtes Kloster gemeint. Einmal eingetreten, verbringt ein Kartäuser den grössten Teil seiner Zeit in seiner Mönchszelle, einem kleinen Häuschen. In der selbstgewählten Einsamkeit kommen alle Fluchtwege an ein Ende. Ich flüchte nicht mehr vor mir selbst und lerne, mich selber auszuhalten. Ich komme innerlich bei mir an und merke, dass Gott immer schon da war.

Ein Bruder kam in die Wüste Sketis zum Altvater Moses und begehrte von ihm ein Wort. Der Greis sagte zu ihm: „Fort, geh in dein Kellion und setze dich nieder. Das Kellion wird dich alles lehren.“
aus Apophthegmata Patrum 500

Ein Bruder bittet den Wüstenvater Moses um ein wegweisendes Wort in sein Leben hinein. Doch dieser verweigert sich diesem Wunsch. Stattdessen schickt er ihn zurück in sein Kellion. Das ist die einfache Behausung eines Einsiedlers, der sich in die Wüste zurückgezogen hat. Daraus ist unser Wort „Zelle“ abgeleitet. Bleib in der Mönchszelle. Sei nicht immer in Bewegung. Lenke dich nicht ständig ab. Stelle dich deinem eigenen Schatten. Erwarte nicht, dass der entscheidende Hinweis von aussen kommt. Richte den Blick nach innen. Gott spricht durch seinen Geist zu deinem Herz. In der Stille wirst du dir selber und Gott begegnen. Wer sich auf die Stille einlässt, erlebt die Einsamkeit als Weg der Verwandlung, als einen inneren Läuterungsprozess.

Klosterausgang

Wisst ihr nicht, dass ihr Gottes Tempel seid und der Geist Gottes in euch wohnt?
1. Korintherbrief 3, 16

Wir verabschieden uns von den Kartäusern und schliessen die Kirchentüre. Beim Zurückschauen sehen wir noch einmal die Inschrift über dem Tor: Siehe, die Hütte Gottes bei den Menschen. Die alttestamentliche Stiftshütte war nicht an einen Ort gebunden. Sie begleitete das Volk Israel auf dem Weg durch die Wüste. Ein mobiler Tempel. Die Gegenwart Gottes kam mit. Und da wird mir plötzlich klar: Nicht das Gebäude, sondern der Mensch ist die Hütte. Ich bin die Hütte. Wir sind der lebendige Tempel. So wie uns das Paulus zuspricht. Jeder für sich und wir alle miteinander. Gott ist nicht nur in der radikalen Gottessuche der Kartäuser hinter dicken Mauern anzutreffen. Durch seinen Geist wohnt Gott in mir. Er ist immer bei mir. In mir ist ein Raum, wo Gott gegenwärtig ist. Und aus diesem Sein heraus fliesst (möglichst) alles, was ich tue.

Gott ist gegenwärtig,
lasset uns anbeten
und in Ehrfurcht vor ihn treten.
Gott ist in der Mitte.
Alles in uns schweige
und sich innigst vor ihm beuge.
Wer ihn kennt, wer ihn nennt,
schlag die Augen nieder;
gebt das Herz ihm wieder.

Herr, komm in mir wohnen,
lass mein Geist auf Erden
dir ein Heiligtum noch werden;
komm, du nahes Wesen,
dich in mir verkläre,
dass ich dich stets lieb und ehre.
Wo ich geh, sitz und steh,
lass mich dich erblicken
und vor dir mich bücken.

Gerhard Tersteegen, aus Reformiertes Gesangbuch 162

Kleiner Kreuzgarten

Als das Lamm das siebte Siegel öffnete, trat im Himmel eine grosse Stille ein, etwa eine halbe Stunde lang.
Offenbarung 8,1

Grosses kündet sich nicht immer laut an. „Grosse Stille“, so heisst ein Film über das Leben der Kartäuser. Diesen Geist atmet die Kartause Ittingen auch heute noch. Auf den Spuren der Kartäuser betreten wir den kleinen Kreuzgarten. Hier begruben die Mönche ihre Toten. Wenn man in diesen ganz von Mauern umschlossenen Aussenraum tritt, kann man die grosse Stille spüren, die uns bergend in Empfang nimmt. „Wenn sich die Stille nun tief um uns breitet, so lass uns hören jenen vollen Klang …“ (Bonhoeffer). Die singende Amsel. Der eigene Atem. Das pochende Herz: In diesem Garten kann jeder Klang, jedes Geräusch zur Inspiration werden. Es ist ein Ort, wo man darüber nachdenkt, was war und was noch kommen wird in unserem Leben.

Wenn sich die Stille nun tief um uns breitet,
so lass uns hören jenen vollen Klang
der Welt, die unsichtbar sich um uns weitet,
all deiner Kinder hohen Lobgesang.

Von guten Mächten wunderbar geborgen,
erwarten wir getrost, was kommen mag.
Gott ist mit uns am Abend und am Morgen
und ganz gewiss an jedem neuen Tag.
Dietrich Bonhoeffer (1906 – 1945)

Grosser Kreuzgarten       

Dann legte Gott in Eden, im Osten, einen Garten an. Gott liess aus dem Ackerboden allerlei Bäume wachsen, verlockend anzusehen und mit köstlichen Früchten.
1. Mose 2, 8

Im grossen Kreuzgarten trafen sich die Mönche an den Sonntagen zum Gespräch. Es waren die einzigen Stunden der Woche, in denen sie miteinander sprachen. Im Schöpfungsbericht wird ein Garten beschrieben: der „Garten Eden“. Das Paradies wird zum Ort der Sehnsucht nach Ganzheit und Heil-Sein. Die Kreuzgärten in den Klöstern sind ein Versuch, das Paradies  wenigstens als Vision herzustellen. In der Offenbarung sieht Johannes wie sich dieses Versprechen verwirklicht. Im himmlischen Jerusalem stehen an einem Fluss Bäume des Lebens. Jeden Monat spenden sie Früchte und die Blätter der Bäume dienen zur Heilung der Völker (Offb. 22,2). Diese grosse und tröstliche Vision klingt in diesem Kreuzgarten an und will auch unser Herz berühren.

Alles beginnt mit der Sehnsucht
immer ist im Herzen Raum für mehr,
für Schöneres, für Grösseres.
Das ist des Menschen Grösse und Not:
Sehnsucht nach Stille, nach Freundschaft und Liebe.
Und wo Sehnsucht sich erfüllt,
dort bricht sie noch stärker auf.
Fing nicht auch Deine Menschwerdung, Gott,
mit dieser Sehnsucht nach dem Menschen an?
So lass nun unsere Sehnsucht damit anfangen, Dich zu suchen,
und lass sie damit enden,
Dich gefunden zu haben.
Nelly Sachs (1891 – 1970)

Labyrinth           

Wer sucht, der findet.
Lukas 11,10

Inmitten der Gärten der Kartause Ittingen befindet sich ein Labyrinth. Ein idyllischer Fleck. Die Wege sind mit Thymianpflanzen in den sandigen Boden gezeichnet. Ein Labyrinth ist nicht zu verwechseln mit einem Irrgarten! Ein Irrgarten führt die Menschen in die Irre. Ein Labyrinth aber führt die Menschen, die es betreten, unbeirrbar auf ein Ziel zu: zur Mitte. Obwohl es keine Wahlmöglichkeiten gibt, ist der Weg keineswegs übersichtlich. Man gelangt immer wieder zu Wendepunkten, wo sich die Richtung ändert. Mal ist man näher am Ziel und dann wieder ganz fern. Ein weiser Mann hat einmal gesagt: „Im Labyrinth verliert man sich nicht. Im Labyrinth findet man sich.“ Im Gehen wird der äussere Weg durch das Labyrinth zu einem inneren Gang durch die eigene Seele. Wagen Sie den Gang in das Labyrinth des Lebens hinein. An der Hand Gottes werden Sie sich nicht verlieren, sondern sich selber finden.

Schicht um Schicht dringe ich nach innen vor,
scheide Wesentliches vom Unwesentlichen,
ordne und freue mich am Erreichten.
Mit jedem Schritt spüre ich mehr,
was ich schon lange weiss:
Meine ureigensten Töne
bilden mit den deinen zusammen
volle, harmonische Akkorde.
Autor unbekannt

Steingarten

Darum sieh, ich locke sie und lasse sie in die Wüste gehen, und dann werde ich ihr zu Herzen reden.
Hosea 2, 16

Die Kartäusermönche wohnen für sich allein in einer Zelle, zu der auch ein kleiner Garten gehört. Manche Mönche pflanzen in ihren Gärten Blumen, andere Gemüse und Kräuter. Ein Steingarten erinnert in der Kartause an die Kargheit der Wüste.  Die Wüste war schon immer ein Ort der Gottesbegegnung. Gott spricht zu Mose aus dem brennenden Dornbusch. Hosea sieht, wie Gott sein Volk in die Wüste lockt und ihm Herzensworte zuspricht, die einen ewigen Bund ins Leben rufen. Seit dem späten 3. Jahrhundert führten die Wüstenväter in den Wüsten Ägyptens ein zurückgezogenes Leben. Sie waren für die Kartäuser wichtige Vorbilder. Die Leere, der Verzicht auf Ablenkungen bringt ans Licht, was tief in uns schlummert: Widerstände, Grenzen, Schatten. Gleichzeitig flüstert der Windhauch uns zu, dass der lebendige Gott uns liebt und heilsam berührt, was ans Licht kommt.

Die Wüste zwingt einen dazu, sich von allem zu lösen
und alles abzuwerfen, was überflüssig ist.
Und man stellt fest, dass so gut wie alles überflüssig ist.
Edmond Jabès, jüdischer Philosoph (1912 – 1991)

Eine Landschaft kann von Gott singen,
ein Leib vom Geist.
Dag Hammarskjöld, zweiter Generalsekretär der UNO (1905 – 1961)

Pferdeschwemme

Die Israeliten konnten das Wasser von Mara nicht trinken, denn es war bitter. Da schrie Mose zum Herrn und der Herr zeigte ihm ein Holz. Und das warf er ins Wasser, und das Wasser wurde süss.
2. Mose 15, 23-25

Mitten in der Kartause befindet sich die „Rossschwemme“, ein flacher Tümpel, der früher dazu diente, Pferde nach der Arbeit im Wasser zu säubern und abzukühlen. Weil wenig Wasser hindurch fliesst, wird er trüb und sieht ziemlich unappetitlich aus. Wenn erschöpfte Menschen sagen, sie hätten zu viel gearbeitet, entgegnet Pater Anselm Grün: „Das glaube ich nicht. Du hast aus trüben Quellen geschöpft.“  Nicht die viele Arbeit ist das Problem. Die eigentliche Ursache liegt tiefer. Trüben Quellen sind für Grün Perfektionismus, Selbstzweifel, Ehrgeiz, Grenzenlosigkeit, den Vorstellungen anderer entsprechen wollen. Trübe Quellen sind ungeniessbar, erschöpfen uns, machen krank. Doch Gott schenkt Wasser, das uns erfrischt und stärkt.

Trockenes Land, Hitze, Durst.
In mir die Sehnsucht nach einem Becher Wasser,
nach einer sprudelnden Quelle, aus der ich schöpfen kann.
Jede Faser meines Körpers lechzt nach frischem Wasser.

Da schau - endlich Wasser!
Doch - es ist bitter.
Ungeniessbar.
Statt den Durst zu stillen macht es nur noch durstiger.
Wie ein Schiffbrüchiger auf dem Meer.

Die bitteren Quellen in mir.
Toxische Gedanken, die mich selber herunterziehen.
Enttäuschungen, über die ich nicht hinwegkomme.
Bitterkeit, die sich am Boden meiner Seele sammelt
und mir die Lebensfreude raubt.

Mit dem Holz des Kreuzes berühre mich in der Tiefe meiner Seele.
Verwandle das bittere Wasser in frisches Wasser.
Mische mich innerlich auf
und nimmt die Salzkrusten weg von meiner Seele.
Lass dein frisches Lebenswasser in mir hervorsprudeln.
Stille meinen Lebensdurst.
Berühre mich mit deinem Geist.

Thomas Bachofner

Quelle 

Wer aber von dem Wasser trinkt, das ich ihm geben werde, der wird in Ewigkeit nicht mehr Durst haben, nein, das Wasser, das ich ihm geben werde, wird in ihm zu einer Quelle werden, deren Wasser ins ewige Leben sprudelt.
Johannes 4,14    
Die erste Voraussetzung für das Anlegen eines Klosters ist  eine sichere Versorgung mit Wasser. In Ittingen liefert eine Quelle ausserhalb der Klostermauer pro Minute 220 bis 280 Liter Wasser, jahraus, jahrein. Eine Quelle gilt als Ursprung von lebensspendenden Kräften. Deshalb hat sich der Mensch immer wieder aufgemacht, Wasserquellen zu suchen und sie anzuzapfen. Klare Quellen erfrischen, heilen, stärken, befruchten und reinigen. Die Bibel spricht von der Quelle des Heiligen Geistes.  Wenn diese klare Quelle des Geistes in mir zu sprudeln beginnt, werde ich nicht so leicht erschöpft. Diese Quelle ist unerschöpflich, weil sie göttlich ist. Bitten wir Jesus, dass er uns von diesem Wasser gibt.

Gott des Lebens, Schöpfer von Himmel und Erde
Wir wissen, dass die tiefste Erfüllung von dir kommt.
Du schenkst uns durch deinen guten, heiligen Geist das lebendige Wasser,
das uns in der Tiefe unseres Wesens erfüllt, stärkt, erfrischt und befreit.
Du gibst uns dieses Lebenswasser umsonst.
Einfach, weil du uns liebst und weil du willst, dass es deinen Geschöpfen gut geht.

Öffne diese Quelle in uns.
Lass dein Lebenswasser durch uns fliessen.
Und bring unser Leben mit all seinen Höhen und Tiefen,
mit all seinen Chancen und Begrenzungen zum Leuchten.
Lass deine Kraft auch in und durch unsere Schwachheit wirksam werden.
Zeige uns, was der nächste Schritt ist
und wie wir in unserem Alltag aus dieser Quelle schöpfen können.
Danke, dass du mitkommst und uns mit deinem Segen begleitest.
Amen.

Weinberg

Da hatte Jakob einen Traum: Sieh, da stand eine Treppe auf der Erde, und ihre Spitze reichte bis an den Himmel. Und sieh, Boten Gottes stiegen auf ihr hinan und herab.
1. Mose 28, 12

Am Steilhang hinter dem Kloster befindet sich ein schöner Rebberg. Eine steile Treppe führt nach oben. Wenn man von unten hinauf schaut, hat man den Eindruck, dass sie direkt in den Himmel führt. Eine Himmelsleiter. Das erinnert an Jakob. Im Traum sah er eine Leiter zwischen Himmel und Erde, auf der Engel auf- und abstiegen. Da wurde ihm klar: Gott ist an diesem Ort! Und wenn wir auf dieser Treppe hinauf- und hinabsteigen? Werden wir dann selber Engel?  Ja, genau da, wo ich die Anstrengung auf mich nehme und hinaufsteige, wo ich Widerstände überwinde, auf andere zugehe, da berühren sich Himmel und Erde. Und da, wo ich die 200 Treppenstufen mühsam hinabsteige, wo ich mich auf andere einlasse, von mir wegschaue, da breitet sich Frieden aus.

Wo Menschen sich vergessen,
die Wege verlassen,
und neu beginnen,
ganz neu,
da berühren sich Himmel und Erde,
dass Frieden werde unter uns.

Wo Menschen sich verschenken,
die Liebe bedenken,
und neu beginnen,
ganz neu,
da berühren sich Himmel und Erde,
dass Frieden werde unter uns.

Wo Mensch sich verbünden,
den Hass überwinden,
und neu beginnen,
ganz neu,
da berühren sich Himmel und Erde,
dass Frieden werde unter uns.

Thomas Laubach